Nigella Express - Schnelle, originelle Rezepte

Nach Gerlachs „Kochen (fast) ohne Zeit“ stellen wir hier ein weiteres Kochbuch vor, in dem es um die schnelle, alltagstaugliche Küche geht oder wie die Autorin es formuliert: „Wie im Leben überhaupt, so ist es auch beim Kochen: Wir wursteln uns so gut wie möglich durch, und darum geht es in »Nigella Express«“.

Selbstverständlich ist ,durchwursteln‘ eine kesse Untertreibung - ein Anhauch britischen Understatements vielleicht, wobei bei der weiteren Lektüre des Buchs dann aber kein Zweifel am Selbstbewusstsein der Autorin aufkommt.

Wer ist Nigella Lawson, von der seit 2003 mit „Nigella Express" bisher insgesamt vier Kochbücher erschienen sind? Die Autorin ist keine gelernte Köchin, sondern nach eigener Auskunft: Esserin. ("I am not a chef. I am not even a trained or professional cook. My qualification is as an eater." ). Nach dem Studium mittelalterlicher und modernen Sprachen war sie zunächst Literatur- und Restaurantkritikerin, brachte 1998 ihr erstes Kochbuch heraus und wurde zur Jahrtausendwende durch die Sendung „Nigella Bites" bei Channel 4 in Großbritannien so bekannt wie hierzulande Tim Mälzer, Johann Lafer oder Alfons Schubeck. Bemerkenswert ist es, dass nicht alle in Großbritannien erfolgreichen Köche auch im deutschsprachigen Raum vergleichbar bekannt und erfolgreich sind. Der Grund dafür dürfte im (fehlenden) Export der Fernsehsendungen liegen - und vielleicht auch im Geschlecht: Nach wie vor sind Köchinnen in der Riege prominenter Gastronomen noch selten. Und aus dem englischsprachigen Raum wurden auf dem Kanal bewegter Bilder bisher meist Köche bekannt gemacht: Jamie Oliver, Gordon Ramsay und vielleicht noch Gary Rhodes.
Nigella Lawson beeindruckt als Autodidaktin (was die Küchenpraxis betrifft) mit einem großen thematischen und technischen Repertoire. Ihre Küche ist - wie die moderne britische Küche sonst auch - im Kern der italienischen Kochtradition verbunden. Mehr aber als viele ihrer Kollegen setzt sie auf internationale Elemente: über die europäische Küche hinaus vor allem die orientalische und asiatische Küche. Dann aber gibt es immer wieder klar erkennbare britische Spuren, vor allem bei den Süßspeisen. Hier dürfte der eine oder die andere angesichts mitunter erstaunlicher Mengen von Zucker, Sirup, Butter und Schokolade nachdenklich werden. Der Autorin ist das aber bewusst. In der Beschreibung der „Nutella-Pfannkuchen", einer wirklich ,schwerwiegenden‘ Angelegenheit, schreibt sie: „Ich habe fast immer Lust darauf, und es ist nicht gut, dass diese Nachspeise so leicht zu machen ist. Nein, wirklich nicht gut".

Aber abseits der Baiser-Klassiker (wie „Baisersahne mit Erdbeeren", einer Variante des bekannten Desserts „Eton Mess" aus den 1930er-Jahren) und einigen in der englischen Küche wohl unvermeidlichen Experimenten mit Würstchen („Honigsüße Cocktailwürstchen") finden auch Kalorienbewusste viele Rezepte für den schnellen Genuss ohne Reue wie bei „Linguine mit Zitrone, Knoblauch, Thymian und Pilzen", „Lachs auf schwedische Art" oder „Obstsalat mit Vanillejoghurt".

Das Kochbuch ist thematisch strukturiert, wobei die einzelnen Rubriken nicht durchweg trennscharf sind. Dennoch kann man z.B. in der Kategorie „Seelentröster" Rezepte finden, die zwar in der Regel nicht wirklich gesundheitsbewusst konzipiert, dafür aber leicht nachzukochen und geschmacklich intensiv sind und bei emotionalen Tiefs durchaus therapeutisch wirksam sein können. „Für unterwegs" ist eine überaus sinnvolle Rubrik für den schnell präparierten Snack zum Mitnehmen und in „Kurz, kurz, lang" werden die Zubereitungszeit und die Zeit unterschieden, die man aktiv beim Kochen zubringt. Gerade hier können eilige Köche davon profitieren, wenn sie lernen, durch gute Vorbereitung oder die pfiffige Nutzung passiver Zubereitungsphasen Zeit zu gewinnen.

Das Rezeptangebot ist in der Summe nicht sonderlich originell. Es werden eine ganze Reihe häufig beschriebener Klassiker präsentiert: Calamares mit Knoblauchmayonnaise (Letztere wird aus industriell produzierter Mayonnaise und frischem Knoblauch hergestellt), Avocadodip, Würstchen mit Sauerkraut (vielleicht in Großbritannien exotisch), Thunfischsalat mit Bohnen oder „Superschokoladige Chocolate Chip Cookies" werden halbwegs erfahrende Kochlaien nicht in Erstaunen versetzen. An dieser Stelle muss man an die Intention und das Thema des Buchs erinnern: Es geht ja um Rezepte, die man in vergleichbar kurzer Zeit umsetzen kann. Dabei fällt dann eine Anleitung zur Herstellung selbst getrockneter Tomaten (originell, energiesparend und praktikabel) so angenehm auf wie die Mischanweisung für Zitronenlimonade (Sodawasser, Zitronen, Zucker und Eis - fertig) irritiert: Letzteres kann man ja kaum noch ,Rezept‘ nennen.

Fazit:

Alles in allem ist „Nigella Express" ein Kochbuch, das polarisieren dürfte: Wo es manchen sicher nicht gesundheitsbewusst genug ausgerichtet ist, werden andere die entspannte Haltung zum Genuss und den Appell an die eigene Urteilskraft schätzen, der immer dort mitschwingt, wo das Kaloriemeter höher ausschlägt.
Für das Buch spricht das durchweg eingelöste Versprechen zeitsparender Rezepturen, eine gute Aufmachung, ein hohes Maß an Verständlichkeit und nicht zuletzt der angenehm persönliche und gut lesbare Schreibstil. Enttäuschend für Fortgeschrittene ist der zu häufige Griff zu bekannten und schon oft beschriebenen Klassikern, die für Kochnovizen allerdings hochinteressant sein können. „Nigella Express" ist als Kompendium für die schnelle Küche gut geeignet, für Kochanfänger durchaus empfehlenswert und eröffnet zugleich einen Einblick in die aktuelle moderne englische Küche.