Leon. Natürlich Fast Food.
- Dumont
- Erschienen: Januar 2011
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- ISBN: 978-3-8321-9368-3
- 308 Seiten.
LEON erfindet Fast-Food neu ...
Auf den ersten Blick hat es mir nicht gefallen!
Aber der erste Blick ist eben nicht mehr als das: ein erster Eindruck, der Assoziationen und impulsive Reaktionen erzeugt. Was mich irritiert hat, war wohl die Aufmachung im Stil der amerikanischen 1950er- und 60er-Jahre: American Graffiti, die Diners, die View-Master-Ästhetik bei den "Vorrats-Drehscheiben" auf den Seiten 10-11 ... und die blassen Farbfotos ... man muss das nicht mögen. "Retrostyle" nennt man es im DuMont Verlag, und daran können sich (ästhetisch) die Geister scheiden, aber dann auch in Extremen: Die einen lieben es sehr, die anderen gar nicht.
"Fast Food" und "ehrlich" - das scheint ja auf den ersten Blick nicht zu passen. Einem wie mir, der auszog, mehr über das Kochen und das Essen zu lernen, ist Fast Food aus guten Gründen suspekt: zu kohlehydratreich, überzuckert, zu fett - wir kennen das. Aber Fast Food war nicht immer das Zeug, was heutzutage von der Nahrungsmittelindustrie über die Theke gereicht wird: Die beiden Gründer des Leon, eines inzwischen zur kleinen Kette ausgewachsenen Restaurants in London sind die Herausgeber des Buchs und haben sich vorgenommen, ältere und solidere Traditionen des Fast Foods wieder aufzunehmen. Henry Dimbleby und John Vincent haben dabei unterschiedliche Rollen: Henry, der unkonventionelle Koch aus Leidenschaft und John, der kritische Esser und Understatement-Hobbykoch. Beide aber verbindet das Bemühen um gesunde Ernährung mit qualitativ hochwertigen Zutaten - auch oder gerade in der schnellen Küche.
Um es vorwegzunehmen: Die Rezepte sind nicht durchweg am Ideal ernährungsphysiologischer Optimierung orientiert. Viele "Klassiker" oder Varianten traditioneller Gerichte sind gehaltvoll. So geht das "Gegrillte Frühstück mit pochierten Eiern" natürlich auf das Full English Breakfast zurück - eine cholesterinhaltige Angelegenheit, die man keineswegs täglich genießen sollte. Und wo das gegrillte Frühstück recht fetthaltig daherkommt, gibt es auf der anderen Seite auch Rezepte wie die "Samstagspfannkuchen" - Buchweizenmehl-Pfannkuchen, die mit der entsprechenden Beilage ("karamellisierte Äpfel und Sahne") mit einem gehörigen Fett- und Zuckergehalt zu Buche schlagen. Dann gibt es aber immer auch leichte Alternativen, wie zum Beispiel Frühstücks-Smoothies, Müslis oder ein Joghurt mit Haferflocken. Schaut man sich dann zum Beispiel die Frühstücks-Rezepte in der Summe an, überwiegen die "gesunden" Rezepte - also im Ergebnis eine recht ansprechende Bilanz. Ob jemand allerdings wirklich ein Rezept für ein "Belegtes Roggenbrot" braucht, darf bezweifelt werden. Solche Rezepte sind wohl aus dem Restaurant-Alltag erwachsen und vielleicht für Stammkunden gedacht, die einzelne Gerichte auch mal zuhause zubereiten möchten.
Das Buch bietet zu Beginn einführende Hinweise zu Arbeitstechniken in der Küche, zur Vorratshaltung oder zum Anbau von Gewürzen und Kräutern in der heimischen Küche. Dann folgen die beiden Hauptkapitel: das größere Kapitel "Fast Food" und das kleinere "Slow Fast Food". In letzterer Kategorie sind Rezepte versammelt, die zwar ebenfalls unkompliziert in der Zubereitung sind, gegenüber dem Fast Food aber mitunter mehr Vorbereitungsaufwand oder längere Garzeiten erfordern. Diese Aufteilung ist überaus sinnvoll, denn ein am Vortag zubereitetes, unkompliziertes Rezept ist im Ergebnis ebenso "fast" wie klassisches Fast Food, nur benötigt es eben mehr Planung. Im letzten Kapitel "Bonus Features" gibt es Cocktails, Zusatzinfos und eine kleine Sammlung von Rezepten der Restaurantmanager von LEONs.
Immer wieder sind Rezepte auch "personalisiert": Bei einer Vielzahl von Gerichten werden die Schöpfer(innen) der Rezepte kurz vorgestellt, und sie tragen dann auch deren Namen, wie zum Beispiel "Johns Brokkoli", "Freds Spargel" oder "Hatties Frittata mit süßen Zwiebeln". Zudem gibt es noch eine - nennen wir es "interne Qualitätssicherung": Die meisten Rezepte sind von einer oder mehreren Personen getestet und für gut befunden worden.
Wichtig und erwähnenswert ist schließlich, dass die beiden Herausgeber viel Mühe darauf verwendet haben, ihre Rezepte auch ernährungswissenschaftlich zu reflektieren. So sind zum Beispiel Gerichte mit einer geringen glykämischen Last besonders markiert, ebenso Gerichte mit geringem Anteil an gesättigten Fettsäuren, vegetarische Gerichte oder Gerichte für Personen mit Allergien oder Unverträglichkeiten gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln (Milch, Weizen, Gluten-Unverträglichkeit etc.).
Leon. Natürlich Fast Food ist ein ganz und gar verrücktes Kochbuch: Es versammelt eine beeindruckend große Zahl von Rezepten, die ihre Versprechungen (fast) immer einhalten: Sie sind tatsächlich in der angegebenen Zeit zuzubereiten. Manchmal aber übertreiben es die Autoren auch, aber das trifft mal mehr, mal weniger, auf alle an Zeitersparnis orientierte Kochbücher zu. Wenn zum Beispiel für die Zucchinisuppe eine Zubereitungszeit von 5 Minuten angegeben wird, darf man zu Recht misstrauisch werden. Und siehe da: Allein für das Anbraten der Zwiebeln werden in der Zubereitungsanleitung schon 5 Minuten veranschlagt. Man sollte die Zubereitungszeiten also wirklich großzügig rechnen und berücksichtigen, dass Kochbuch-Köche das Zusammenstellen der Zutaten und bestimmte Vorbereitungsarbeiten (die Mise en place) in der Regel nicht zur Zubereitungszeit rechnen.
Die Aufmachung, der Foto-Stil und das Layout sind für ein Kochbuch recht ungewöhnlich und zum Teil auch freakig. Was immer man von der Ästhetik hält: Hinter allen Rezept-Collagen, Zeichnungen und Testimonials stecken grundsolide und wirklich umsetzbare Rezepte für die Alltagsküche. Zwar finden sich immer wieder auch weniger attraktive britische Bräuche (wie die Neigung zur Übersüßung von Desserts und Kuchen und die irritierende Begeisterung für das wohl überschätzteste Käseprodukt, den Cheddar), aber die Aufnahme vieler Kochtraditionen im Sinne des Fusion Foods erweitern die Perspektive all derer, die im quirligen Alltag auch mit wenig Zeit anspruchsvoll kochen möchten.
Henry Dimbleby und John Vincent ist es ohne Zweifel gelungen, Fast Food aus der Schmuddelecke zu befreien. Sie begründen eine ganz neue Küche, die an zu Unrecht aufgegebene Traditionen aus den Zeiten vor der industriellen Nahrungsmittelproduktion anknüpft und zugleich eine gesundheitsbewusste Ernährung in den Blick nimmt. Was die beiden besonders sympathisch macht, ist ihr Bekenntnis zur Vorläufigkeit von Erkenntnissen über Ernährungszusammenhänge. Als Kochbuch-Autoren, für die Genuss und gesunde Ernährung keine Gegensätze sind, setzen sie mündige Leserinnen und Leser voraus, die nicht blind Trends folgen, sondern eigenes Wissen auf- und ausbauen. Leon. Natürlich Fast Food ist ein Kochbuch für Anfänger und Fortgeschrittene zugleich - Anfänger werden davon profitieren, dass die Rezepte wirklich gut umzusetzen sind. Fortgeschrittene werden die Vielfalt (und die Fülle) der Rezepte und Kochstile zu schätzen wissen. Ein wunderbares Kochbuch für den Alltag und den Urlaub zugleich.
Am Ende hat es mir dann so gut gefallen, dass ich es nicht mehr missen möchte.
Dimbleby, Henry; Vincent, John, Dumont
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